Cloud Computing könnte die chargenorientierte Rückverfolgung von Nahrungsmitteln beflügeln
Gastkommentar von Martin Vollmer, Leiter Unternehmenskommunikation GUS Group, Köln
Kaum eine Branche ist so auf einen unterbrechungsfreien Informationsfluss entlang der Wertschöpfungskette angewiesen wie die Food-Industrie. Nicht zuletzt aus Sicht der Retail-Organisationen ist es entscheidend, im Falle eines beanstandeten Artikels schnell und verlässlich Auskunft über die entsprechende Charge sowie mögliche weitere betroffene Produkte zu erhalten. Versuche, die Dokumentation des arbeitsteiligen Herstellungsprozesses unternehmensübergreifend zu vereinheitlichen, könnten durch die Möglichkeiten des Cloud Computings jetzt „neue Nahrung“ erhalten.
Geregelt sind die Mechanismen zum chargenorientierten Herkunftsnachweis von Nahrungs- und Genussmitteln grundsätzlich seit Inkrafttreten der EU-Verordnung 172/2002 zur Rückverfolgbarkeit. Danach wurde im Wesentlichen festgestellt, dass in einer Wertschöpfungskette der Herkunfts- und Verwendungsnachweis für jeweils eine Stufe dokumentiert sein muss. In der Konsequenz lässt sich damit über die gesamte Supply Chain vom Landwirt bis zum Handelsregal der Weg vom Rohstoff bis zum Verkaufsartikel verfolgen. Das Prinzip hat sich bewährt – zumindest aus Herstellersicht.
Doch ebenso alt sind Anstrengungen, den Weg vom Acker bis zum Regal auch in einer alle Veredlungsstufen übergreifenden Datenbank zu hinterlegen. Unter dem Stichwort „gläserne Kartoffel“ wurde beispielsweise die Entwicklung einer Online-Datenbank in Angriff genommen; allerdings scheiterten die Versuche im Jahr 2008. Stattdessen haben der Handel und Abpackunternehmen – um beim Beispiel der Kartoffel zu bleiben – eine Rückverfolgbarkeit über die Chargennummer eingeführt, die es erlaubt, auffällige Partien bis zum Erzeuger rückzuverfolgen. Auch der Kunde kann über die Angaben auf dem Beutel im Internet nachverfolgen, von welchem Landwirt die Kartoffeln stammen, die er in Händen hält. Allerdings ist dieses Verfahren kaum bekannt.
Dabei zeigt sich, dass weitergehende Rückverfolgungsmechanismen nicht nur zur Verringerung des Risikos führen, sondern ganz wesentlich zur Produktdifferenzierung am Markt führen. Immer mehr Anbieter von Bioprodukten und Handelsmarken prüfen deshalb Methoden, einen digitalen Lebenslauf für Verbraucher anzubieten. Gerade bei Produkteigenschaften, die vom Verbraucher nicht mehr ohne weiteres festgestellt werden können, denen er also vertrauen muss, wächst der Bedarf nach aktuellen Zusatzinformationen. Und die technischen Möglichkeiten, wie sie durch mobilen Internetzugang oder Cloud Computing gegeben sind, zeigen jetzt auch einen wirtschaftlich vertretbaren Weg auf.
Der Hersteller HP und die Non-profit-Organisation GS1 Canada beispielsweise haben bereits 2009 einen Service angekündigt, den Verbraucher abonnieren können, um online die Nahrungsmittel vom Tisch zum Acker rückverfolgen zu können. Dabei werden die Chargeninformationen über alle Herstellungsstufen gesammelt und zu einem Produktpass im Internet zusammengestellt. Auch IBM hat eine vergleichbare Traceability-Initiative gestartet, die zunächst auf die Pharmaindustrie gemünzt war, dann aber auf den Food-Sektor ausgedehnt wurde. Allerdings: sind an der Schwierigkeit, die Informationen von allen Stufen der Wertschöpfungskette zu vereinheitlichen, bisher alle Versuche gescheitert.
Das könnte sich ändern: Bereits für das Apple iPhone verfügbar ist eine App, mit deren Hilfe Herkunft und Preis von Weinen identifiziert werden kann. Der Anwender scannt mit dem iPhone das Etikett und erhält nach einer kurzen Datenbankabfrage die entsprechende Auskunft. Nach diesem Prinzip könnten künftig auch andere Lebensmittel für den Verbraucher transparenter werden. Und die Marketingmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind nicht zu unterschätzen.
Voraussetzung ist freilich, dass Erzeuger, Hersteller und Handel in der Lage sind, verbrauchergerechte Chargeninformationen ohne großen Aufwand aus ihren Unternehmenslösungen zu generieren und zur Verfügung zu stellen. Zwar sieht die EU-Verordnung nicht zwingend vor, dass für die Daten zur Rückverfolgung IT-gestützt verwaltet werden müssen – nach dem Wortlaut reicht ein Schuhkarton mit Karteikarten. Aber die Anforderungen an die Transparenz entlang der Wertschöpfungskette machen es immer dringender, in chargenorientierte Rückverfolgungssysteme zu investieren. Auskunftsfähigkeit dürfte in absehbarer Zeit so entscheidend sein wie Lieferfähigkeit.