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(Interview) ECC-Handel: Kannibalisierungseffekte im Multichannel-Modell vermeiden

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Internet Retailing sprach in Düsseldorf mit Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer der IfH Institut für Handelsforschung GmbH, Köln, über dessen aktuelle Multichannel-Studie vom 6.4.2011 und über das Vermeiden von Kannibalisierungseffekten im Multichannel-Business.



Internet Retailing: Ein Sponsor Ihrer aktuellen E-Commerce-Studie ist hybris Software. Wie sieht sich ECC Handel im Bereich der Marktbeobachter? Sehen Sie sich unabhängig, oder haben Sie Partner?

 

Hudetz: Das ECC Handel ist ja Teil des Instituts für Handelsforschung, an der Universität Köln angesiedelt, insofern sind wir neutraler Marktbeobachter. Wir haben auch Förderprojekte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologien (BMWT), das uns dazu anhält, herstellerneutrale und dienstleisterunabhängige Informationen zu sammeln und aufzubereiten. Bei aufwendigen Studienvorhaben arbeiten wir trotzdem mit Partnern zusammen. Das hat rein budgetäre Gründe – wir können das aus eigener Kraft nicht stemmen. Wir legen großen Wert darauf, dass diese Partnern keinen Einfluss auf die Ergebnisse nehmen, so dass wir unsere Position ganz klar als unabhängiges Informations- und Beratungsinstitut sehen.

 

Internet Retailing: Ihre Methodik ist entsprechend ausgerichtet und unterscheidet sich von denen, die man sonst so in Analysen sieht?

 

Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsfoschung



Ja, wir haben schon eine lange Tradition an Multichannel-Studien. 2002 haben wir unsere erste Studie hierzu durchgeführt. Sie unterscheidet sich von allen anderen Studien, die im Markt verfügbar sind, indem wir einen Transaktionsansatz wählen. Wir fragen also nicht “Informieren Sie sich im Internet, bevor Sie im stationären Handel kaufen?”, sondern wir fragen: “Haben Sie sich bei Ihrem letzten Kauf im Internet informiert, bevor Sie stationär gekauft haben?” Wir haben also konkrete Bezüge zu den Transaktionen, was es uns eben ermöglicht, sehr viel genauer zu fragen, weil der Konsument einen Kaufvorgang hier erklären kann: Wie hat er Kanäle gewechselt, welches Produkt hat er gekauft, warum hat er sich wo informiert?” Das kann man für eine konkrete Situation genauer beurteilen als etwa für Transaktionen, die gebündelt erfolgten.

 

Das ermöglicht auch genaue Hochrechnung von Effekten, beispielsweise von Kannibalisierungseffekten, Kaufimpulsen etc., die man aus den konkreten Situationen für die Gesamtheit aller Käufe hochrechnen kann.

 

Internet Retailing: Stichwort “Kannibalisierung”. Das ist ja der Knackpunkt beim Multichannelmodell. Sie haben es bereits bei der Präsentation der Studienergebnisse gesagt. Wie können Sie den Retailern erklären, dass der Kannibalisierungseffekt nicht so schlimm sei?

 

Im Durchschnitt ist er tatsächlich nicht so schlimm. Denn als durchschnittlichen Kannibalisierungsgrad, sprich: der Anteil der Online-Umsätze, die ansonsten im stationären Geschäft des Händlers entstanden wären, haben wir gut 18% ermittelt. Das heißt, mehr als 80% des Online-Umsatzes sind tatsächlich Zusatzumsätze für einen stationären Händler, der zudem einen Online-Shop betreibt.

 

Internet Retailing: Also ein sehr positiver Effekt, oder?

 

Es ist ein positiver Effekt, es ist aber natürlich ein Durchschnittswert. Es gibt jedoch schon Unternehmen, die sehr stark in einzelnen Kanälen sind, die dadurch sehr hohe Kannibalisierungseffekte haben. Ich nenne dazu einmal das Unternehmen Otto, die einen sehr starken Kannibalisierungseffekt haben, oder Globetrotter, die durch den Online-Shop sehr viel Umsätze aus dem stationären Geschäft oder aus dem klassischen Katalogversandhandel in diesen Online-Kanal lenken, aber der große Vorteil ist: Die Umsätze verbleiben im Unternehmen. Man stärkt damit das Unternehmen insgesamt.

 

Diese Unternehmen, wie Globetrotter, Görtz, Douglas, Otto, bei denen die Kanäle gut verzahnt sind, die haben hohe Kannibalisierungseffekte, aber sie haben trotzdem insgesamt Zusatzumsätze. Sie stärken damit ihre Position. Insgesamt ist dieser vergleichsweise niedrige Kannibalisierungseffekt mit den gut 18% damit zu erklären, dass mit dem Online-Shop ja auch die Chance besteht, in einen wachsenden Markt hineinzugehen, andere Zielgruppen anzusprechen – jüngere oder preissensiblere Zielgruppen, die man im stationären Geschäft nicht erreichen kann – und letztlich eine größere Ausdehnung: eine Erweiterung des Einzugsgebiets, was für kleinere Händler eine Chance ist.

 

Insgesamt ist Kannibaliserung ein Effekt, der in der Diskussion häufig emotionalisiert wird, der sich aber im Durchschnitt gesehen als deutlich vorteilhafter für den Handel darstellt als man gemeinhin so denkt.

 

Internet Retailing: Es gibt also eine ganze Reihe von Vorteilen, sofern eben der Onlione-Shop gut integriert ist. In was denn genau?

 

Gut integriert in ein Gesamtkonzept. Wichtig ist, dem Kunden kanalübergreifend ein Unternehmenserlebnis aus einer Hand zu bieten. Wir haben in unseren Studien deutlich gesehen, dass eine Harmonisierungsstrategie – sprich: Sortimente, Preise, CI sind über die Kanäle hinweg gleich – einen großen Vorteil hat, gerade in Bezug auf Kundenloyalität.

 

Das ist zukünftig ein entscheidender Punkt. Die Loyalität nimmt insgesamt ja im Einzelhandel ab. Multichannel ist eine Chance, wenn man es richtig macht, Kunden stärker an das Unternehmen zu binden, setzt aber voraus, dass ein Thema wie Verfügbarkeit über verschiedene Kanäle hinweg spielen kann. Nicht dass ich einen Kunden online auf eine Filiale aufmerksam mache, der Kunde kommt extra, bricht den Kauf im Internet auf, kommt zu mir in den Laden und findet dann eine out-of-stock-Situation vor – oder er findet das Produkt zum anderen Preis, als er im Internet gesehen hat. Da sind dann die Probleme vorprogrammiert.

 

Internet Retailing: Da wird dann der Kunde abspringen je nachdem, wie rigide oder hoch seine Erwartung ist.

 

Ja, auch das zeigen unsere Studien: dass der Kunde immer schneller abspringt. Das Internet verwöhnt den Kunden gerade in Bezug auf Verfügbarkeit, und er ist immer seltener bereit, hier Kompromisse zu machen. Insofern bekommt das Thema Verfügbarkeit beim Kanalwechsel eine ganz große Bedeutung. In allen Studien zu diesem Thema haben wir gesehen: Mangelnde Warenverfügbarkeit ist ein zentraler Auslöser für den Kanalwechsel. Das Multichannel-Unternehmen muss alles darauf ausrichten, dass der Kunde bei diesem Kanalwechsel nicht das Unternehmen wechselt.

 

Internet Retailing: Auch Lieferzeiten und Versandkosten spielen eine gewisse Rolle, aber das ist wahrscheinlich nachrangig, oder?

 

Das ist ein Stück weit nachrangig, aber auch das stellt natürlich einen Vorteil des stationären Handels dar und ist häufig ein Grund für einen Kanalwechsel online zu stationär. Zum einen ist hier der Treiber “Ich möchte etwas sehen, etwas anfassen” oder “ich möchte es sofort oder heute noch haben”. Online-Handel versucht ja mit einigen Konzepten, die es in Deutschland erst im Test gibt, die aber in anderen Ländern schon weiter verbreitet sind, nämlich schnelle Expresslieferung zu ermöglichen, genau dem entgegenzuwirken. Abseits der großen Metropolen wird es aber nicht möglich sein, letztlich diese Lieferung binnen zwei Stunden zu realisieren, wie es Argos in London anbietet. Das wird nicht effizient über die Metropolen hinaus anzubieten sein. Deshalb gilt: Wenn ein Kunde ein Buch heute noch braucht, geht er zum stationären Buchhändler. Brauche ich das erst morgen, kann ich es schon wieder online bestellen. Insofern ist dieser Punkt “Ich möchte es sofort haben” ein ganz starker Treiber hin zum stationären Handel.

 

(Der zweite Teil dieses Interviews folgt in Kürze.)

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