Google will Ende Juni oder im Juli seinen Online-Buchladen „Editions“ eröffnen. Damit macht der Suchmaschinen- und Werbekonzern etablierten Anbietern wie Amazon, Apple, Barnes & Noble sowie hierzulande Audible.de Konkurrenz. Google-Manager Chris Palma sagte dem „Wall Street Journal“, dass Google auf „Editions“ Titel verkaufen wolle, deren Vertriebsrechte es bereits besitzt.
Ein Unterschied zwischen Googles Verkaufsmodell für digitale Bücher und dem von anderen Anbietern ist, dass Google-Kunden die im Online-Shop gekauften Bücher nicht herunterladen können. “Google Editions” werden nur im Browser lesbar sein. Das hat ein paar Vorteile für den Anbieter. Das Unternehmen muss sich zum einen nicht mit Kopierschutzfragen (s.u.) herumschlagen. Zum anderen kann man den Dienst dadurch für jedes Gerät mit einem Browser anbieten. Abkommen mit E-Book-Reader-Herstellern sind unnötig.
Dadurch stellt sich die Frage nach dem Preis pro Online-Buch, wenn der Käufer keine Kopie davon behalten darf. Ein Google-Sprecher sagte im April zu der Zeitung „The New Yorker“, dass die Verleger selbst die Preise für ihre Bücher festsetzen könnten.
Zur Zeit darf Google lediglich Public-Domain-Werke und Bücher verkaufen, für die das Unternehmen Vertriebsrechte mit den jeweiligen Verlagen ausgehandelt hat. Sollte der Vergleich zur Google-Buchsuche juristisch abgesegnet werden, könnten auch urheberrechtlich geschützte Bücher dazukommen, die nicht mehr im Druck erhältlich sind. Die Rechteinhaber bekämen dann einen Anteil am Verdienst. Eine gerichtliche Entscheidung über die Buchsuche wird in Kürze erwartet.
Gut oder schlecht?
Der Buchhandel gewinnt also demnächst zusätzlichen Schwung. Amazon mit Kindle, Apple mit seinem erfolgreichen iPad und schließlich Sony mit seinem E-Reader – alle bilden bislang zwar durch proprietäre Formate abgeschlossene Märkte. Der einzige gemeinsame Nenner ist das im Public-Domain-Bereich verfügbare EPUB-Format, das auch Google anbieten wird. Doch insgesamt gewinnt der E-Buchhandel dadurch zusätzliche Attraktivität.
Nun kommt es darauf, diesen neuen Schwung im E-Commerce durch geschickten Vertrieb und einfallsreiches Marketing auszunutzen. Online-Händler wie Weltbild.de bieten bislang Print-Titel und Musik-Downloads an, sind also noch nicht im E-Buchhandel. Ernsthafte Interessenten suchen sich bislang bei Audible.de oder Claudio.de ihre ungekürzten Hörbuchversionen der Bücher. Doch stets ist damit ein Sprecher verbunden – von einem traditionellen Buch kann man nicht sprechen. Und nicht alle Leser sind Freunde des von Profis gesprochenen Wortes, wie auf den Verbraucherplattformen wie Ciao.de immer wieder zu lesen ist.
Wenn ein Kunde dies vermeiden möchte, muss er wieder zu den oben genannten Textanbietern gehen – oder sich im Public-Domain-Markt umsehen, beispielsweise beim Gutenberg-Projekt. Allerdings sind dort die kostenlosen Titel ohne Lizenz mindestens 70 Jahre alt. Einen aktuellen Bestseller dürfte man unter diesen Klassikern also vergeblich suchen.
So richtig ist der aktuelle Online-Buchhandel also noch nicht in Schwung gekommen, denn sonst würde man allenthalben Bücher auf dem iPhone und darüber gebeugte Köpfe sehen.
Ein ungelöstes Problem, das noch der gerichtlichen Entscheidung harrt, ist die Vergütung der Urheberrechte. In Europa gilt anderes Recht als in den USA, wo das Copyright die Verleger begünstigt. Folglich befinden sich die europäischen Verwertungsgesellschaften als Wahrnehmungsberechtigte der Urheber in einer starken Verhandlungsposition. Sie klagen eine angemessene Vergütung für die Lizenzen ein – oder es wird keine europäischen Bestseller im Internet geben. Diese Problemzone umschifft Google mit seinem aktuellen Editions-Ansatz.
Sobald dieser Gordische Knoten der Justiz einmal durchschlagen worden ist, dürfte der elektronische Buchhandel einen vergleichbar stürmischen Aufschwung nehmen wie der Hörbuchmarkt, der in den vergangenen zehn Jahre zweistellige Zuwachsraten verzeichnen konnte – nicht zuletzt auch dank der bequemen Downloadmöglichkeiten.
Michael Matzer, editor Germany